Anja Mittag, Viel unterwegs im europäischen Frauenfußball hat sie einen reichen Schatz an Erfahrungen und Fähigkeiten gesammelt.
Das Interview wurde am 15. Dezember, einen Tag nach dem Spiel gegen die SGS Essen geführt. Guten Tag Anja Mittag, Sie haben gestern Abend mit dem VFL Wolfsburg gegen die SGS Essen gespielt in einem Nachholspiel der Frauen-Bundesliga. Was hat das Spiel gebracht?
Auf jeden Fall drei Punkte, das ist wohl das Wichtigste für uns, das wir mitnehmen aus dem Spiel. Wenn wir das Nacholspiel gegen Jena gewinnen, sind wieder auf dem zweiten Tabellenplatz, das ist sehr wichtig für uns im Hinblick auf die Champions League-Qualifikation und generell waren wir natürlich sehr froh nach dem Spiel.
In der Frauen-Bundesliga steht Turbine Potsdam auf dem ersten Platz, hätten Sie das am Anfang der Saison erwartet? Wie schätzen Sie es ein?
Erwartet wohl nicht, das hätten wahrscheinlich aber wenige, wohl auch nicht die Turbine Spielerinnen selber und der Trainer, das ist ja auch ein Zeichen für die Liga, dass die Liga ausgeglichen ist und wirklich sehr stark ist, wahrscheinlich eine der besten der Welt ist. Wie gesagt, das ist eine schöne Sache für den Frauenfußball, dass da eine Entwicklung vor allem in Deutschland genommen wird. Tja, das ist gut so. Natürlich nicht so schön für den VFL Wolfsburg, wir würden gerne oben stehen, aber die Turbinen haben es sich auch verdient, sie spielen eine gute Saison bis jetzt und stehen zu Recht oben.
Wie sind Sie zum Fußball gekommen?
Ich habe zwei Brüder, der eine ist älter als ich, der hat gespielt und dann war das irgendwie natürlich, dass ich mit ihm raus bin zum Fußball spielen. So hat das alles angefangen. Im Alter von sechs oder sieben Jahren bin ich in den Fußballverein eingetreten.
Was hat Sie dann im Alter von 17 Jahren zu Turbine Potsdam gebracht?
Potsdam war damals in der Region bekannt und der einzige Verein, der in der Bundesliga, also auf dem höchsten Niveau gespielt hat. Der Trainer [Bernd Schröder] hat mich gefragt, ob ich kommen will und das war an der Zeit, den nächsten Schritt zu tun. Das hat alles gepasst und es war eine schöne Zeit in Potsdam.
Sie waren ab 2002 bei Turbine Potsdam, haben aber schon 2006 so eine Art Unterbrechung gemacht, wechselten zu einem schwedischen Erstligaverein in Karlstad, für eine Saisonhälfte. War es nur ein Versuch?
Das war ein Test, etwas anderes zu wagen. Ich bin generell sehr offen auch für was Neues, Auslandserfahrung zu sammeln, oder was auch immer. Ich hatte damals eine Freundin, die dort gespielt hat und dadurch ist es mir einfacher gefallen, mal ins Ausland zu gehen. Das war ein bisschen unglücklich, ich habe mich verletzt und es lief nicht mehr so gut. Das war schon schade.
Sie sind nach Potsdam zurückgekehrt, hatten viele Erfolge, unter anderem den Champions League Sieg mit Turbine Potsdam gegen Olympique Lyon. Was waren Ihre Gründe, 2011 nach Schweden zu FC Malmö zu gehen?
Nach fast 10 Jahren in Potsdam dachte ich, es ist mal Zeit für eine Luftveränderung, was natürlich ist nach so einer langen Zeit. FC Malmö in Schweden hat zu der Zeit eine Stürmerin gesucht und so kam eins zum anderen. So dachte ich, gebe ich denen eine Chance.
Sie wurden schon in der ersten Saison Torschützenkönigin in der schwedischen Liga und blieben insgesamt drei Jahre bei dem Verein FC Malmö, dem späteren FC Rosengård. Wieso hat es sie in ein weiteres Land gezogen, 2015 zu Paris Saint-Germain?
Ich dachte, ich wollte mal was anderes sehen, was anderes erleben, ein anderes Land kennen lernen, dort Titel gewinnen. Paris Saint-Germain hatte große Ambitionen, gute Spielerinnen, ein gutes Team, und so war das eine gute Alternative, auch mal was Neues zu wagen und mich sportlich zu verändern.
Haben diese beiden Vereine Malmö/Rosengard und Paris Saint-Germain etwas Besonderes für die Integration ausländischer Spielerinnen getan?
In Schweden wurde mir ein Schwedischkurs angeboten, ebenso in Paris, wo wir sogar einen privaten Lehrer hatten, der uns Französisch beigebracht hat. Beide Vereine wollten, dass man sich schnell integriert und dafür ist es wichtig, dass man die Sprache erlernt.
Wie haben Sie das Training empfunden? War das Training anders als in Schweden und in Deutschland?
In Potsdam war das eine harte Zeit, aber ich habe auch zusammen mit Sarah Gunnarsdottir in Schweden gespielt, da ist die Trainingsbelastung oft nicht so hoch. Bei Paris Saint-Germain gab es insgesamt keine großen Unterschiede zum deutschen Training, vielleicht wurden einige andere Inhalte trainiert. Wenn ich das verallgemeinern kann, dann ist es so, dass es in Frankreich viele technisch gute Spielerinnen gibt, in Schweden waren die Spielerinnen eher athletisch, robust, zweikampfstark, aber nicht die technisch Besten.
Wie sehen Sie die französische Liga im Vergleich zur deutschen Bundesliga?
Hier in Deutschland ist die Liga deutlich ausgeglichen, ausgeglichener als die französische. In Frankreich ist es eindeutig Lyon, die Mannschaft, die seit 10 Jahren immer wieder Meister wird, das zeigt die Einseitigkeit der Liga. Es ist schade, dass die Liga meistens von zwei Mannschaften (Olympique Lyon und Paris Saint-Germain) dominiert wird, manchmal schafft es Montpellier, manchmal Juvisy, um die Spitze mitzuspielen. Aber in Deutschland war das auch eine Entwicklung, das ging auch nicht von heute auf morgen. Es ist zu hoffen, dass sich da in Frankreich auch was tut.
Paris Saint-Germain hat unter Farid Benstiti sehr große Ziele gehabt, die aber immer wieder knapp verpasst. Wie sehen Sie die Chancen von Paris Saint-Germain in dieser Saison und in der Zukunft?
Wichtig sind die Spiele gegen Lyon, also ich verfolge das auch noch, versuche Informationen zu bekommen. Ich glaube, die Mannschaft ist näher zusammengerückt, sie sind zu einem Team geworden, was vorher vielleicht nicht so war. Das war alles ganz gut, die Veränderung kam vielleicht zu einem guten Zeitpunkt. Ganz viele Spielerinnen haben den Verein letzte Saison verlassen, der neue Trainer Patrice Lair hat einige neue Spielerinnen dazu geholt, ein paar Französinnen, weniger Spielerinnen aus dem Ausland. Es scheint, die Mannschaft hat Spaß und fußballerisch wird es sich zeigen, wo sie stehen.
Sie selbst hatten noch ein Jahr Vertrag in Paris, haben aber entschieden zum VFL Wolfsburg zu wechseln. Hat es Ihnen nicht mehr so gefallen oder war Wolfsburg reizvoller?
Es war irgendwie ein bisschen von beidem. Ich wollte auch wieder zurück nach Deutschland. Und so richtig gefallen hat es mir dann auch nicht mehr.
Sie sind eine der erfolgreichsten Spielerinnen der deutschen Nationalmannschaft, wurden jedoch 2011 nicht für die WM im eigene Land nominiert. Danach aber haben Sie wieder einen enormen Aufschwung erlebt, z.B. das großartige Siegtor gegen Norwegenim Endspiel der Europameisterschaft 2013. Wie ist dieses kleine Karrieretal zu erklären?
(Lächelt) Ja, ich glaube, das war eine Abnutzungserscheinung in Potsdam, ich habe viele Jahre dort gespielt, habe ein bisschen die Lust am Fußball verloren. Und da war ich wahrscheinlich nicht in der Form, dass Silvia Neid mich hätte nominieren können. Das ist alles schon richtig, das hat gepasst, das weiß ich selber. In Schweden ging es wieder bergauf. Nach Schweden zu gehen war auf jeden Fall der richtige Schritt für mich und meine fußballerische Karriere.
Gold bei Olympia, neue Trainerin in der Nationalmannschaft, wie sehen Sie die Chancen der Nationalmannschaft für die Europameisterschaft?
Es wird auf jeden Fall eine spannende Aufgabe. Mit unserem neuen Trainerteam hatten wir bis jetzt drei Maßnahmen, es war schön, es hat Spaß gemacht. Wir haben viel vor und man muss sich natürlich auch erst kennen lernen. Das braucht Zeit, es funktioniert vieles nicht gleich beim ersten Mal. Wir haben das Potential im Hinblick auf die EM, wir müssen auch an vielen Sachen arbeiten, das wird sich auch nicht von heute auf morgen umsetzen lassen, aber wir haben gute Voraussetzungen, bei der EM eine wichtige Rolle zu spielen. Das ist klar, wir haben acht Europameisterschaften gewonnen. Es ist klar, dass wir um den Titel mitspielen wollen und Favoriten sind. Es wird spannend.
Frankreich hat auch einen neuen Nationaltrainer. Sie kennen die französischen Spielerinnen, sie kennen die Liga dort. Frankreich hat immer wieder einen Titel knapp verpasset. Wie sehen Sie die Chancen für die Europameisterschaft?
Ich habe schon ein bisschen mit Elise [Bussaglia] gesprochen, sie mag den Trainer sehr, ist auch überzeugt von ihm, das ist schon mal ein gutes Zeichen – ich weiß nicht, wie die anderen ielerinnen denken. Ich hoffe, dass er der Mannschaft helfen kann, er kommt ja nicht aus dem Frauenfußball, sondern aus dem Männerfußball. Wie man hört, so sind die Französinnen in den vorherigen Turnieren daran gescheitert, dass sie als Team nicht die mentale Stärke hatten. Ich glaube, sie brauchen einfach mal ein Turnier, das sie gewinnen. Das sie noch keinen Titel haben ist ein bisschen unglücklich, denn sie spielen ja den besten Fußball.
Im März wird der Gegner in der Champions League Olympique Lyon sein. Denken Sie jetzt schon daran?
Im Moment ist es erstmal wichtig, dass wir unsere Bundesligaspiele gewinnen, damit wir uns auch nächstes Jahr für die Champions League qualifizieren. Sicher hat man auch die Auslosung im Hinterkopf. Lyon ist natürlich ein echt starker Gegner, aber das ist gut, man will sich immer mit den Besten messen. Lyon ist eine der besten Mannschaften Europas, auch weil sie den Titel gewonnen haben. Wir wollen ihnen den Titel natürlich streitig machen, und ich glaube, wir haben echt ein gutes Team und gute Voraussetzungen. Hätte man es sich wünschen können, hätten wir dieses Spiel auch gerne fürs Finale gehabt, um eine passende Revanche zu haben, wir müssen es nehmen, wie es ist; wir werden die Aufgabe annehmen und versuchen ins Halbfinale einzuziehen und alles geben.
Hätten Sie Paris Saint Germain bevorzugt?
Ja, ich hätte gerne gegen Paris Saint-Germain gespielt.
Wie sehen Sie Ihre persönliche Zukunft beim VFL Wolfsburg?
Ich habe für zwei Jahre unterschrieben, das sind jetzt noch anderthalb Jahre, ich hoffe natürlich, dass ich meinen Vertrag erfüllen kann.
Gerd Weidemann Lesfeminines.fr