Um ihren Sport auf höchstem Niveau ausüben zu können, verlassen Sportlerinnen und Sportler oft in jungem Alter das elterliche Zuhause. Sie treffen ihre Entscheidung zugunsten ihrer Leidenschaft Sport. Sie folgen ihren Gefühlen, sie folgen dem, was sie im Leben antreibt.

TABEA KEMME gibt uns in diesem zweiten Teil des Interviews einen Einblick in ihren sportlichen Weg und die Entwicklungsbedingungen des deutschen Frauenfußballs. Ein Weg zwischen Leidenschaft und Vernunft, der beim 1. FFC Turbine Potsdam sich als ein guter Weg erwiesen hat.

Lesfeminines.fr – Wann haben Sie mit dem Fußball spielen angefangen?

Tabea Kemme – Ganz klassisch, auf dem Schulhof. Mit fünf Jahren kam ich in die Vorschule, da haben wir jede Pause genutzt, um Fußball zu spielen. Auf dem Schulhof gibt es immer welche, die mitkicken. In den kurzen Pausen gab es manchmal ein, zwei Mädchen, die mitmachten, aber meistens habe ich mit Jungs gespielt.

Lesfeminines.fr – Gab es in der Familie Geschwister, die Fußball spielten?

Tabea Kemme – Nein, meine beiden Schwestern haben sich für Pferde interessiert, früher bin ich auch geritten, einfach weil wir Pferde zu Hause hatten. Bei mir hat es sich aber immer mehr herauskristallisiert, dass ich Fußball spielen wollte. Der Aufwand war geringer: Schuhe an, Ball raus, los geht’s.

Lesfeminines.fr – Ab wann haben Sie im Verein Fußball gespielt?

Tabea Kemme – Mein erster Verein war SG Freiburg /Oederquart, ein Verein im Norden an der Elbe. Mit neun Jahren bin ich in den Verein gegangen. Eigentlich hatten meine Eltern gesagt, ich dürfte erst mit zehn Jahren in einen sportartspezifischen Verein. Der Grund dafür war, dass meine Eltern der Meinung waren, dass ich mich nicht auf eine Sportart speziell fixieren sollte, damit ich auch alle anderen Muskelgruppen trainiere. So habe ich Kinderturnen und alle möglichen Sportarten gemacht. Und dann konnte ich sie doch ein wenig rumkriegen, es war ja nur noch ein Jahr, und ich habe dann doch mit neun Jahren im Fußballverein angefangen. Das war eine reine Mädchenmannschaft.

Lesfeminines.fr – Wie kam es, dasss Sie in recht jungem Alter zu Turbine gekommen sind?

Tabea Kemme – Im September 2005 gab es dieses Event „Jugend trainiert für Olympia“, dafür hatte ich mich damals mit meiner Schule als Landessieger in Niedersachsen qualifiziert. Jedes Bundesland hat zu diesem Turnier in Berlin eine Mannschaft geschickt. Brandenburg war mit der Sportschule Potsdam dort. Die haben gescoutet und dann Kontakt zu meinen Eltern aufgenommen und ein Probetraining angeboten. Also im September war das Turnier, im Oktober war ich einmal in Potsdam zum Probetraining und im Februar 2006 war ich schon in Potsdam auf der Sportschule.

Es war wirklich ein Prozess von nur vier Monaten. Ich selbst wäre nie auf die Idee gekommen, mich fußballmäßig höher zu orientieren. Doch meine Schwester hat mir letztens offenbart, ich hätte mit vier Jahren gesagt: „Ich will Fußballnationalspielerin werden“. Daran kann ich mich aber überhaupt nicht erinnern. Ich hatte wohl sehr früh schon meine Pläne, von denen ich bisher noch nichts wusste.

Lesfeminines.fr – Haben Sie lange überlegt, von zu Hause wegzugehen?

Tabea Kemme – Nein, gar nicht, ich habe da null, wirklich überhaupt nicht darüber nachgedacht. Ich war vierzehn Jahre alt, das war ganz klar, dass ich das mache. Einfach, weil es um Fußball ging. Ich habe gedacht: Kicken jeden Tag zweimal, wie genial. Nebenher ein Schulabschluss hier im Internat, noch besser!

Lesfeminines.fr – Sie sind dann zwölf Jahre beim 1. FFC Turbine Potsdam geblieben. Was hat Sie so lange bei demselben Verein gehalten?

Tabea Kemme – Das Fußballspielen an sich. Beziehungsweise, ich hatte ja nie die Möglichkeit wahrgenommen, ausschließlich Profifußballerin zu sein, also zu sagen, ich setze jetzt alles auf den Sport und darauf orientiere ich mich total. Ich habe ab der 8. Klasse die Sportschule besucht und 2011 mein Abitur gemacht. Es war für mich ganz klar, dass ich mir einen Beruf suche.

Und dann hieß es im Jahr 2012, es startet ein Projekt Sportfördergruppe in der Landespolizei. Darauf habe ich mich beworben und es hat alles geklappt. Ich hatte nicht einmal den Gedanken gefasst, überhaupt woanders hin zu gehen. Zum ersten Mal habe ich 2015 daran gedacht, ins Ausland zu gehen. Vielleicht kam das auch, weil ich 2015 mein erstes Turnier mit der Nationalmannschaft gespielt habe, rumgekommen bin und dadurch immer mehr mit dem Gedanken gespielt habe, noch mal ins Ausland zu gehen.

Innerhalb der Bundesliga zu wechseln habe ich nie den Gedanken gehabt, dafür ist Turbine Potsdam meine erste Adresse. Letztes Jahr habe ich mein Studium beendet, dann einige Zeit in meinem Beruf gearbeitet und nun möchte ich noch mal meine Komfortzone verlassen und mich eine Zeit lang ganz dem Fußball widmen.

Lesfeminines.fr – Ist es bei Turbine Potsdam möglich, Ausbildung oder Studium mit den hohen sportlichen Anforderungen zu verbinden?

Tabea Kemme – Ja, auf jeden Fall. Wenn ich nur daran denke, wie ich eigentlich mit dem Olympiastützpunkt zusammengearbeitet habe, wie wir Sportlerinnen und Sportler da immer einen Ansprechpartner haben, auch Laufbahnberatung. Das ist schon sehr speziell hier. Alleine durch die regionalen Sponsoren, bei denen einige der Spielerinnen neben dem Fußballspielen arbeiten. Ich weiß nicht, inwiefern das in anderen Vereinen möglich ist. Das sind hier in Potsdam schon sehr gute Bedingungen für eine duale Karriere. Ich habe es als Privileg empfunden.

Lesfeminines.fr – Turbine legt als Verein selbst darauf Wert?

Tabea Kemme – Auf jeden Fall, die Trainingszeiten sind danach ausgerichtet, dass jeder arbeiten gehen kann oder es werden Absprachen mit dem jeweiligen Ausbildungspartner getroffen. Man berücksichtigt die Ausbildungszeit, die Trainingszeit. Zur Prüfungsvorbereitung kann eine Spielerin mit dem Trainer reden, auch mal ein Training ausfallen lassen und nach der Prüfung im Training dann wieder Vollgas geben. Das ist eine Frage der Kommunikation, also ich habe jahrelang die Unterstützung von beiden Seiten gehabt.

Lesfeminines.fr – Was würden Sie Mädchen raten, die in einer ähnlichen Situation sind, in der Sie waren, als sie mit 14 Jahren nach Potsdam gingen? Worauf kommt es an?

Tabea Kemme – Wenn ich von mir ausgehe, ich bin total unbefangen an die Sache rangegangen. Von Hause aus wusste ich um Werte und Normen. Es war so, dass ich immer sehr ehrgeizig war, sehr zielstrebig, diszipliniert. Das sind Eigenschaften, die jede mit sich bringen sollte. Ich habe gar nicht groß an die Karriere gedacht, mir selber keinen Druck gemacht, ich habe selber keine Ansprüche gehabt.

Aber ich habe wirklich – wir haben zwei Mal am Tag trainiert – eigentlich in jedem Training immer das Maximum rausholen wollen. Das hat natürlich nicht immer geklappt, man hat auch schlechte Tage und ist niedergeschlagen. Es ist dann wichtig zu schauen, wie man damit umgeht und da wieder rauskommt. Wenn man da nicht raus kommt, dann ist man nicht dafür gemacht.

Was mir zum anderen dabei auch nach dem Abitur geholfen hat, war der Gedanke, dass ich nicht vom Fußball abhängig sein wollte. Deswegen war es mir sehr wichtig, dass ich mir ein zweites Standbein aufbaue. Einen Beruf zu haben wie eigentlich jeder andere. Bei mir war das halt die Karriere bei der Polizei, wo ich ein Studium begonnen und es neben dem Fußball beendet habe. Das ist natürlich auch so, wenn du sehr großen Ehrgeiz hast, wenn du dann auch noch erfolgreich Fußball spielst, du hast einfach deine Unterstützer, vom Verein, vom Studium, vom Arbeitgeber.

Und jetzt auch gerade im Falle meiner Verletzung, wo es auch auf der Kippe stand, wie es sportlich weiter geht, da hatte ich immer die Gewissheit: ich habe meinen Beruf, eine zweite Möglichkeit. Ich glaube, wenn man das nicht hat, kann man ziemlich schnell in so einem Tunnel sein. Nicht nur im Männerfußball, auch im Frauenfußball gibt es welche, die gar nicht so mal in das wahre Leben eingetaucht sind, sondern nur in dieser Fußballblase leben. Wenn man nur in so einem speziellen Kreis lebt, dann entwickelt man sich nicht weiter. Das sollte doch im Vordergrund stehen, sich weiter entwickeln zu wollen, sowohl im Fußball als auch persönlich. Und da hilft immer dieses zweite Standbein.

Gerd Weidemann für lesfeminines.fr