Im Laufe der Qualifikationsspiele für die Weltmeisterschaft 2019 in Frankreich ist für die bisher sehr erfolgreiche deutsche Frauen-Nationalmannschaft eine neue Situation entstanden: Direkte Qualifikation als Gruppenerster gefährdet, frühes Ausscheiden bei der Europameisterschaft in den Niederlanden, und ein letzter Platz beim SheBelievesCup mit einer deutlichen Niederlage gegen Frankreich(0-3), worauf sich der DFB im März von Steffi Jones als Nationaltrainerin trennt. Hat man Grund in Deutschland, um die Qualifikation für die WM 2019 zu bangen?

Die 26 Jahre alte Nationalspielerin Tabea Kemme stand uns vor ihrem Wechsel zum FC Arsenal für ein Interview zur Verfügung. Sie sprach mit lesfeminines.fr über den Frauenfußball und die Situation der deutschen Frauen-Nationalmannschaft (Platz 2), die durch Island (Platz 1) in der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2019 aus dem Tritt gebracht wurde. Nachdem Deutschland im Oktober 2017 (2-3) das Qualifikationsspiel gegen Island zu Hause verloren hat, ist ein Sieg beim Spiel in Island absolute Pflicht (1. September 2018), um nicht in den Play-offs um die Teilnahme spielen zu müssen.

Lesfeminines.fr – Ist das Nationalteam schwächer oder sind die anderen stärker geworden?

Tabea Kemme – Wir sind nicht schwächer geworden, aber die anderen Nationen haben aufgeholt. Viele Spielerinnen wechseln in andere Ligen, sei es jetzt die englische Liga, sei es die Bundesliga, die haben einfach nochmal viel mehr aus sich rausgeholt.

Aber generell ist es heutzutage so, dass die Spielerinnen in Bezug auf Fitness und bei den Trainingsmöglichkeiten aufgeholt haben. Ich bin da auch der Meinung, dass wir in Deutschland auch ein bisschen stagniert haben.

Man ruht sich natürlich immer auf dem aus, was man gewonnen hat und dann kommt Tag X, wo es nicht mehr so läuft, wie es damals gelaufen ist. Genau da stehen wir jetzt. Und nun wundert man sich, warum wir jetzt verloren haben, warum man jetzt nicht mehr 7 : 0 gewinnt, sondern gerade mal so ein 2 : 1 erreicht.

Es fing bei den Olympischen Spielen 2016 an, wir waren erfolgreich und haben die Goldmedaille gewonnen, aber die haben wir schon nicht mit Glanz gewonnen. Die EM im vergangenen Jahr, dann der SheBelievesCup und so sind wir an den Punkt gekommen, dass wir auch keinen erfolgreichen Fußball mehr gespielt haben.

Mein Standpunkt ist der, dass etwas passieren muss, aber nicht erst, wenn ein Turnier oder ein Spiel verloren ist. Was ich in Bezug auf Turbine sage, stimmt auch für die Nationalmannschaft, diese Grundfitness, diese Überlegenheit haben wir heute nicht mehr.

Lesfeminines.fr – Der taktische Vorteil ist wichtiger geworden als das physische Element.

Tabea Kemme – Was ich auf jeden Fall sagen kann, ist, dass wir diesen Vorteil, den wir damals hatten, heute so nicht mehr haben. Trainingswissenschaft und Leistungsdiagnostik spielen inzwischen eine große Rolle, vorausgesetzt die finanzielle Unterstützung der Vereine ist gegeben. Es geht jetzt wirklich auch ums Fußballpraktische, die Taktik ist jetzt mehr im Fokus.

Lesfeminines.fr – Kann es dem Frauenfußball schaden, weil die Liga mit immer den gleichen Mannschaften an der Spitze uninteressanter wird?

Tabea Kemme – Ich erinnere mich an meine erste oder zweite Saison zurück. Da sind wir zu Auswärtsspielen gefahren und hatten die drei Punkte eigentlich sicher. OK, wir fahren nach Sand und man hat die Punkte sicher, aber das ist heute nicht mehr so. Ob das jetzt Sand ist, oder andere Vereine. Zum Beispiel in Duisburg tun sich alle schwer, nicht nur wir aus Potsdam, sondern auch Wolfsburg und Bayern, die auch nur Unentschieden in Duisburg gespielt haben.

Das sind dann die vermeintlichen Gegner, wo du mit den drei Punkten schon fest rechnest. Das ist nicht mehr so, dass man versucht, mit solchen Gegnern mitzuspielen, sondern da wird klassisch gemauert und dann auf Konter gespielt. Das ist schon eine Vorliebe mancher Vereine, besonders der Vereine, die sich nicht viel ausrechnen gegen gewisse Gegner.

Natürlich ist es dann schwierig, gegen solche Gegner zu spielen. Diese Ausrichtung gibt es auch in der Frauen-Bundesliga, nicht nur bei den Männern. Den klasssischen Offensivfußball von beiden Mannschaften sehe ich in Deutschland nicht oft.

Lesfeminines.fr – Woran denken Sie, wenn ich Ihnen das Stichwort Frankreich gebe?

Tabea Kemme – Es waren immer heiß umkämpfte Spiele. Ich mag es gegen sie zu spielen, weil sie fußballerisch meiner Meinung nach mit die beste Nation sind, was das Kurzpassspiel angeht. Und genau solche Gegner liebe ich, solche spielstarken Spielerinnen, solch eine Mannschaft unter Druck zu setzen, damit sie gar nicht ihr Spiel aufziehen können. Wo man sich als gegnerische Mannschaft in das Spiel hereinkämpft und es dann so langsam an sich reißt.

Lesfeminines.fr – Wird die deutsche Frauen-Nationalmannschaft an der Weltmeisterschaft in Frankreich teilnehmen?

Tabea Kemme – Das wird sie auf jeden Fall. Das eine verlorene Spiel ist jetzt so sehr in den Vordergrund gerückt, weil wir seit vielen Jahren in den Qualifikationsspielen zur WM nicht verloren hatten. Das ist einfach nur eine gute Story für die Presse.