TABEA KEMME, 26 Jahre alt – Nach ihrem sehr erfolgreichen sportlichen Weg während 12 Jahren beim 1. FFC Turbine Potsdam und dem Aufbau eines beruflichen Standbeins geht Tabea Kemme nach England – Neuland für einen erfolgreichen Frauenfußball.

Über das Training in Potsdam, die Bundesliga und die Frage des Wechsels

Lesfeminines.fr – Es heißt, dass in Potsdam ziemlich hart trainiert wird, in der Saisonvorbereitung sogar drei Mal am Tag. Stimmt das?
Tabea Kemme – Ja, das war so bei Bernd Schröder, unter dem ich acht Jahre trainiert habe. Man lernt mit den Belastungen umzugehen. Das ist eine reine Gewohnheitssache. Wenn ich daran zurückdenke: die erste Vorbereitung war sieben oder acht Wochen lang drei Mal am Tag und am Wochenende wurde immer noch gespielt. Mit 16 hab‘ ich angefangen, man ist einfach belastbar, also ich habe auch gelernt, Dinge da nicht zu hinterfragen, sondern sie einfach zu machen.
Lesfeminines.fr – Ist das eine Belastung für Spielerinnen, die von anderen Bundesligavereinen kommen?
Tabea Kemme – Ich denke schon, auf jeden Fall. Die Belastung ist auf jeden Fall erstmal die Umstellung. Ich kenne viele Spielerinnen, die hierher gekommen sind und erstmal Gewicht verloren haben, weil sie so viel trainiert haben und mental erstmal sehr belastet waren. So sehr du dich manchmal hinterfragst, warum du die Vorbereitung mit dieser gewissen Härte machst, um so mehr weißt du dann aber zum Ende der Saison, was der Nutzen ist. Gerade in der Rückrunde, so bei den letzten Spielen, etwa ab Minute 70 hatte ich immer eine zweite Luft. Du kannst dann den Gegnern immer weg rennen. Und das ist immer so eine Genugtuung, wenn du weißt: Genau deswegen überlebe ich diese Vorbereitung, damit ich jetzt noch mal diese zweite Luft zum Spielen habe.
Lesfeminines.fr – Sie haben bei Turbine verschiedene Positionen gespielt, was liegt Ihnen mehr?
Tabea Kemme – Ich hatte im Sturm angefangen, dann aber lange in der Defensive gespielt. Unter dem neuen Trainer Rudolph Matthias bin ich seit zwei Jahren vorne im Sturm. Mir ist es eigentlich egal, wo ich eingesetzt werde, solange ich noch die Möglichkeit habe, in die Offensive zu starten.
Als Außenverteidigerin kannst du die Linie hoch und runter rennen, wie du willst, wie du auch kannst und so habe ich da auch oft sehr offensiv gespielt, bin zum Flanken gekommen und zum Torabschluss. Der neue Turbine-Trainer wollte mir einfach mal wieder einen neuen input geben nach all den Jahren unter Bernd Schröder, einfach mal einen Neustart geben und hat mich auf diese Position gestellt. Das hat mich total gefreut, nichts mache ich lieber als Tore zu schießen. Je näher ich dem Tor komme, desto lieber ist es mir.
Lesfeminines.fr – Wie sehen Sie die Situation in der Bundesliga? Stritten sich früher Turbine Potsdam und der FFC Frankfurt um den Meistertitel, sind es jetzt der FC Bayern München und der VFL Wolfsburg? Werden in Zukunft diese beiden Vereine die Bundesliga alleine dominieren?
Tabea Kemme – Es sind auf jeden Fall zwei Vereine, die sich unter den Top 3, Top 4 bewegen werden. Ich denke aber auch, man wird in der Sommerpause sehen, wer in der Liga wohin wechselt. Ich denke an Freiburg, – man sagt ja immer, Freiburg sei ein Ausbildungsverein. Man hat doch gesehen, was für ein frischer Wind in Freiburg weht und dass sie wirklich konkurrenzfähig sind.
Wenn ich mir bei Bayern und Wolfsburg alleine die Zusammenstellung der Mannschaft ansehe, die jeweils individuell überaus starken Spielerinnen, das ist natürlich auch einfach eine reine finanzielle Frage. Also je größer der Etat des Vereins ist, desto mehr können sie investieren in Spielerinnen.
Alleine schon das scouting: Sie scouten international – so wie das bei mir auf nationaler Ebene gelaufen ist. Da ist in Wolfsburg zum Beispiel die polnische Nationalspielerin Ewa Pajor, die ja früh gescoutet wurde und jetzt eine der Topspielerinnen in Wolfsburg ist. Das zeigt eine Struktur, die nicht mehr nur im Aufbau ist, und von solchen Strukturen profitieren diese Mannschaften.
Lesfeminines.fr – Sie wechseln in die englische Liga, was erwarten Sie?
Tabea Kemme – Ich erwarte definitiv diesen Offensivfußball. In England wird – den Frauenfußball habe ich nicht so verfolgt – aber wenn ich mir so Zusammenschnitte von den Männern anschaue, dann wird da ein anderer Fußball gelebt. Ich habe ja schon oft meine Meinung kundgetan, dass ich vom Männerfußball in Deutschland nicht so angetan bin aufgrund der Schauspielerei und der Theatralik in den Spielen. Was mich richtig sauer und wütend macht und ich dann auch wirklich den Fernseher ausschalte, weil ich wirklich keine Lust drauf habe mich aufregen zu müssen.
Das finde ich in England so nicht wieder. Das ist ein ganz anderer Zweikampf, der dort geführt wird, auf einer fairen Ebene auf jeden Fall. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass ich selbst im Spiel immer sehr von meinen eigenen Zweikämpfen lebe, das ist einfach meine Spielweise und deswegen freue ich mich sehr auf England – zum einen auf diesen Offensivfußball und vor allem auch auf eine Veränderung.
Lesfeminines.fr – Hätten Sie sich auch eine andere Liga in Europa vorstellen können?
Tabea Kemme – Ich habe mir tatsächlich auch Frankreich angeguckt. Ein Grund, warum ich nicht hingegangen bin,war, dass dort in der Liga die Verhältnisse sehr klar sind, weil die Plätze 1 bis 4 sicher sind und bei den anderen Spielen ist dann ein hohes Ergebnis zu erwarten. In England ist das ausgeglichener. Diesen Eindruck hatte ich in Frankreich nicht.
Ich war in England drüben und mein Herz hat gesagt, ja es ist der richtige Weg. Das Gefühl hatte ich in Frankreich nicht. Das war auch einfach so eine Bauchentscheidung, wobei das Finanzielle nebensächlich war. Ich bin jetzt bei der Polizei beurlaubt, also muss ich das finanziell ausgleichen, so dass ich auf jeden Fall kein Minus mache, aber mehr auch nicht.
Lesfeminines.fr – Sie sind noch in einer langen Rehamaßnahme, bleiben Sie noch in Deutschland?
Tabea Kemme – Der Zeitpunkt meiner Verletzung konnte nicht schlechter sein. Ich habe einfach das Glück, dass die Vereine gut zugunsten der verletzten Spielerin kooperieren. In Absprache mit beiden Vereinen bzw. mit den beiden medizinischen Abteilungen habe ich mich entschieden, die Reha in England fortzusetzen. Es ist schon wichtig, wenn man in ein neues Land geht, in eine neue Liga, in einen neuen Verein, dass man auch direkt den Anschluss hat und dass man die Abläufe, dass man die Philosophie des Vereins kennenlernt. Das ist auch der Hauptgrund, dass ich noch während der Reha dorthin gehe.
Lesfeminines.fr wünscht viel Glück in England und eine gute Reha!
Gerd Weidemann für lesfeminines.fr