Lara Dickenmann, Sie sind jetzt seit gut sechs Monaten in Wolfsburg, haben Sie sich gut eingelebt? Fühlen Sie sich bereits als Wolfsburgerin? 

– Ja, es war für mich recht einfach mich einzuleben, der Verein ist sehr gut organisisert, sie haben viel dazu beigetragen, dass ich mich von Beginn an wohl gefühlt habe. Und mit der Mannschaft läuft es auch sehr gut.

Sie kommen von Olympique Lyon, einem Verein, der in den letzten Jahren besonders erfolgreich war. Was waren Ihre Gründe, zu einem Verein in der deutschen Bundesliga zu wechseln? 

– Die deutsche Liga ist eine sehr gute Liaga, sie ist recht ausgeglichen. In Frankreich ist die Liga nicht sehr ausgeglichen, es gab jedes Jahr zwei, drei Mannschaften, die unter sich um den Titel spielten. Hier ist das etwas komplizierter. Ich hatte einfach Interesse, etwas Neues, eine andere Mentalität und eine andere Kultur kennenzulernen. Also, Deutschland ist im Frauenfußball seit Jahren, seit Jahrzehnten in der Spitze, ich wollte sehen, wie gearbeitet wird, wie es in der Bundesliga zugeht.

War es für Sie eine große Veränderung, hierhin zu wechseln? 

– Ja, ja, und ob das eine große Veränderung war, weil die Art Fußball zu spielen anders und auch die Mentalität eine andere ist. Ich habe 7 Jahre in Lyon gespielt und und war sehr daran gewöhnt, wie es dort lief. Im Vergleich dazu war es eine große Veränderung für mich, aber es gefällt mir hier und ich habe auch gefunden, was ich suchte, eben etwas anderes.

Lara Dickenmann. Crédit Vfl Wolfsburg. lesfeminines.fr

Lara Dickenmann. Crédit Vfl Wolfsburg. lesfeminines.fr

Wenn man die deutsche mit der französischen Liga vergleicht, was sind die größten Unterschiede? 

– Es ist viel kraftvoller, die Mannschaften, selbst die schwächeren Teams schaffen es, 90 Minuten mit Kraft zu spielen und man muss sich immer gegen jede Mannschaft anstrengen. In Frankreich war das viel einfacher, es gab Mannschaften, die 45 Minuten dagegen hielten und dann nicht mehr konnten, ich denke, dass wir mit Lyon einen sehr guten Fußball gespielt haben, der auch für unsere Gegner besonders war, ich denke. Ich denke, selbst Olympique Lyon hätte in der deutschen Liga Schwierigkeiten, die Saison mit 22 Siegen in 22 Spielen abzuschließen.

Was sind die Unterschiede im Training? Ist das Niveau ähnlich? 

– Das Training hat ein gutes Niveau, das was anders ist, es wird direkter gespielt, es geht von der einen Seite zur anderen wie im Spiel. Statt den Ball etwas länger zu halten, wird direkt in die Tiefe gespielt, es zwar nicht immer exakt das, was hier versucht wird, aber so ist das deutsche Spiel. Und in Frankreich ging es mehr darum, den Ball zu halten, zuerst horizontal und dann in die Tiefe. Für mich ist das der Unterschied. Der größte Unterschied ist das Physische. Es ist schwierig, 90 Minuten mit Kraft zu spielen, wenn man nie oder selten den Ball in den Reihen hält.

Haben Sie das in der Champions League mit Lyon gegen deutsche Mannschaften schon so kennengelernt? 

– Ja, das waren immer sehr Kraft fordernde Spiele auf einem sehr hohen Niveau, die Deutschen sind sehr schwer zu spielende Gegner. Mental ist das sehr schwer, weil sie nie aufgeben, 90 Minuten lang versuchen sie etwas zu machen. Jedesmal, wenn wir in der Champions League es mit deutschen Gegenern zu tun hatten, war die Physis der größte Unterschied.

Nun nach sechs Monaten in Deutschland, woran erinnern Sie sich insbesondere, wenn Sie an Ihre Zeit bei Olympique Lyon denken? 

– Die Fans, sie fehlen mir, weil es in Frankreich sehr gute und engagierte Fans waren, die fast täglich auch zu unerem Training kamen, und dann denke ich vor allem an die Mannschaft, an die Spielerinnen, mit denen ich sechs, sieben Jahre zusammen gespielt habe, die fehlen mir auch, weil wir Automatismen hatten, die wir hier in Wolfsburg noch nicht erreicht haben. Aber das ist auch normal, wir haben viele neue Spielerinnen und wir versuchen, ein wenig den Fußball, wie er hier gespielt wird, zu ändern, das braucht auch Zeit. Und dann ist da Lyon als Stadt, eine wirklich schöne Stadt, an die ich gerne zurückdenke. In Wolfsburg fühle ich mich heute wohl, ich bedauere es in keiner Weise hierhin gekommen zu sein.

Welche Spiele mit Olympique Lyon sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? 

– Da gibt es viele, natürlich die vier Finalteilnahmen in der Champions League, auch wenn wir zwei davon verloren haben. Das erste Finale, auch wenn wir es im Elfmeterschießen verloren haben, war ein sehr wichtiges Spiel, weil es für uns alle das erste Champions League Finale war, dann folgten die zwei Siege und das vierte haben wir gegen Wolfsburg verloren, es sind alles Erfahrungen, die ich nie vergessen werde. Und dann gab es auch das Halbfinale, als wir zu Hause 5 – 1 gegen Potsdam gewonnen haben, wie auch die Spiele gegen Paris Saint-Germain, die auf ein sehr hohes Niveau hatten.

Hat die Leistung des Schweizer Teams bei der Fußball-WM in Kanada für einen Aufschwung des Frauenfußballs in der Schweiz gesorgt? 

– Ich denke schon, wir waren während und vor der WM viel in den Medien, es ist seitdem wieder ruhiger geworden, aber das ist auch normal, weil im Moment weniger passiert. Wir spielen jetzt regelmäßig in Biel (Bienne), wenn wir ein Heimspiel haben. Das ist auch eine gute Sache, es ist ein kleines Stadion wie hier in Wolfsburg, etwa 5000 Zuschauer, bei unseren Spielen dort war eine gute Stimmung. Wir bringen weiterhin gute Ergebnisse, was wichtig ist, um weiterhin die Aufmerksamkeit der Schweizer zu bekommen, und falls wir uns für die Europameisterschaft qualifizieren, wird das en Schweizer Frauenfußball auch weiter voranbringen. Man muss immer weiter dran bleiben und versuchen bis hin zu einem Finale zu kommen.

Ist es für eine junge Schweizer Spielerin notwendig, in einer anderen Liga als der Schweizer Liga zu spielen, um sich weiter zu entwickeln? 

– Ich denke, es wäre hilfreich, aber man darf nichts irgendwohin gehen, es gibt heute viele, die im Ausland spielen, in der Nationalmannschaft hat es uns geholfen, unser Niveau zu verbessern, weil die Spielerinnen mental und physisch sich im Ausland weiterentwickelt haben. Das Niveau in der schweizerischen Liga ist nicht sehr hoch, und wenn man Fortschritte machen will, muss man zum Beispiel nach Deutschland, Frankreich, Schweden oder Norwegen gehen und dort spielen. Wozu ich aber nicht rate, ist einfach nur irgendwo anders zu spielen. Die Bedingungen, das Umfeld und der Verein, alles ist bei solchen Entscheidungen wichtig.

Warum spielen relativ wenige Französinnen im Ausland? Was denken Sie, sind die Gründe dafür? 

– Sie haben gute Bedingungen in Frankreich, sie wohnen in sehr schönen Städten. Sie sind bei großen Vereinen, egal nun ob Montpellier, Paris Saint-Germain oder Lyon. Mit Juvisy ist das ein wenig anders, weil sie nicht so professionell aufgestellt sind wie die drei anderen. Montpellier ist zwar ein wenig weit, doch in Montpellier zu wohnen, ist ganz schön. Einige haben das Abenteuer gewagt, ich weiß nicht recht, ob die Sprache ein Grund ist, aber sie haben in Frankreich alles, was sie brauchen. Wenn ich die Chance hätte, auf ihrem Niveau in der Schweiz zu spielen, würde ich vielleicht auch dort bleiben, es käme darauf an.

Wo sehen Sie Wolfsburg am Ende der Saison in den drei Wettbewerben? 

– Wir haben heute[19.12.15: Niederlage gegen Jena, 1:2] nicht unser ganzes Potenzial abgerufen, wir haben manchmal sehr gute Spiele absolviert, doch heute gelingt es uns nicht, unser gesamtes Potenzial auf dem Spielfeld zu entfalten, das ist wirklich schade. Ich denke, wir befinden uns ein wenig in einer Übergangsphase. Das ist vielleicht ein wenig komisch, das nach sechs Monaten, die wir zusammen sind zu sagen. In Lyon haben wir viel an unserer Spielweise gearbeitet, es bringt nichts, einfach nur Spielerinnen kommen zu lassen, man muss am Spiel selbst  arbeiten, das ist eine Arbeit, die täglich stattfindet, in den drei letzten Monaten hatten wir nicht viel Zeit dafür, weil wir englische Wochen hatten, mit den National, annschaten unterwegs waren, etc. Ich denke, nach der Winterpause werden wir daran arbeiten, an der Taktik, am Spiel, wir werden endlich die Zeit haben, zusammen zu arbeiten. Ich glaube alles ist für uns möglich, mit der Meisterschaft wird es jetzt natürlich  sehr kompliziert, aber  die anderen Wettbewerbe (Champions League, Pokal), wir sind ja immer noch drin. Wir werden versuchen, so viele Titel wie möglich zu erreichen.

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der französischen Nationalmannschaft? Wird Frankreich  endlich einen großen Titel erreichen? 

– Das ist eine gute  Frage. Frankreich hätte bereits einen Titel gewinnen müssen, bei der WM in Kanada waren sie meine Favoriten, aber leider ist es dazu nicht gekommen. Ja, ich glaube daran, dass die Spielerinnen es schaffen. Sie machen das beste Spiel, aber es braucht auch Realismus auf dem Spielfeld. Es fehlt einfach manchmal nur der letzte Siegeswillen.

Wo sehen Sie in den drei Wettbewerben Olympique Lyon am Ende der Saison 2015/16? 

– Ich glaube, sie werden das Finale der Champions League erreichen, ich sage nicht, dass Lyon gewinnen wird, weil ich hoffe, dass wir das sein werden, aber für mich bleibt es Lyon als Gegner – es ist schwer Vergleiche zu ziehen – die Gegner sind nicht  gleich, Paris ist doch ein sehr guter Gegner, sie haben unentschieden gegen Montpellier gespielt, das hat sie aufgebaut. Lyon wird die Meisterschaft und auch den französischen Pokalwettbewerb gewinnen – die Champions League, das kommt darauf an. [Lara Dickenmann lächelt]

Danke für das Interview

Gerd Weidemann lesfeminines.fr

Lara Dickenmann. Vfl Wolfsburg. Crédit Gentside. lesfeminines.fr

Lara Dickenmann. Vfl Wolfsburg. Crédit Gentside. lesfeminines.fr